Die Stifterfiguren
Weltbekannt wurde der Westchor
durch die Figuren der zwölf Stifter. Als der zweite, heutige Dom
gebaut werden sollte, hielt Bischof Dietrich II. (s. oben) um Zuwendungen
für seine Errichtung bittend, die Namen der ersten, längst verstorbenen
Stifter, sie als Vorbild preisend, in einem Brief fest. Es war das vorrangige
Anliegen des Auftraggebers, ihr Andenken zu wahren und an diesem Ort auch
weiterhin ihre Totenmessen zelebrieren zu können. In diesem Sinne
können wir die Figuren im Westchor deuten: als Ursprungsgründer
und Stellvertreter für alle, die den Bau durch Gaben und Taten gefördert
haben. Die meisten Stifter sind im Gelände der heutigen Domkirche
begraben, die Ehepaare der ekkehardingschen Familie vermutlich sogar im
Westchor. Mit dem Neubau des Doms und des Westchors wurden ihre Grabstätten
aufgegeben und beseitigt. Als Ersatz schuf man um die Mitte des 13. Jahrhunderts
lebensgroße Gedächtnisgrabsteine. Auf diese Weise erfüllte
der Westchor den Zweck einer Totenkapelle zum Gedächtnis der verehrten
Stifter. Zur Totenmesse wurden die Figuren mit Tüchern und Fahnen
behängt und Reliquien ausgestellt. Die lebensgroßen Skulpturen
stehen in etwa vier Meter Höhe vor dem Laufgang und wurden in die
Gewölbedienste eingefügt. Jede Statue erhielt einen eigens für
sie entworfenen aufwendigen Baldachin mit Architekturdekor. Das Standbild
und das Dienststück in seinem Rücken bestehen jeweils aus einem
einzigen großen Steinblock. Runde oder abgerundete Fußplatten
dienen als Standfläche. Es ist ebenso ungewöhnlich wie auch
einmalig, daß weltliche Personen in einem Chor dargestellt sind
und welche Verehrung weltlichen Personen zuteil wurde, die alles andere
als heilig waren. Als der Naumburger
Meister diesen Auftrag erhielt, waren die Stifter bereits 150 bis
200 Jahre tot, und er mußte ihre Standbilder ganz aus der Phantasie
heraus bilden. Es gab keine Biographien, in denen man über sie etwas
hätte erfahren können. Die einzigen Anhaltspunkte für die
Gestaltung einzelner Persönlichkeiten waren historische Überlieferungen
und Berichte. Die höchst individuelle Darstellung jeder einzelnen
Figur ist verblüffend. Ihre Gesten, ihre Gesichter bezeichnen unterschiedliche
Charaktere und Temperamente und deuten jeweils auf etwas Schicksalhaftes
hin. Die Architektur faßt die Statuen zu einer Einheit zusammen:
Der Zyklus wurde ganz bewußt antithetisch angeordnet. In der Mitte
befinden sich die beiden Hauptstifterpaare, die letzten Besitzer der Naumburger
Burg: Markgraf Hermann neben seiner Gemahlin, der lächelnden Reglindis,
welche eine polnische Königstochter war sowie Markgraf Ekkehard
und Uta, eine Grafentochter aus Ballenstedt im Harz. Die beiden Hauptstifter
mit ihren Gemahlinnen erhielten einen besonderen Platz. Sie sind jeweils
als Paar nebeneinander aufgestellt, was ihnen mehr Gewicht verlieh als
den isoliert stehenden Einzelfiguren. Zudem wurde ihnen vor den stärkeren
Dienstbündeln zwischen Polygon und Chorquadrat und unmittelbar seitlich
vom Hochaltar der ehrenvollste Platz im Chor vorbehalten. Die übrigen
Standbilder zeigen im Polygon die Grafen Dietmar, Syzzo, Wilhelm und Thimo,
im Chorquadrat die Gräfin Gerburg, Graf Konrad, Graf Dietrich und
Gräfin Gepa (siehe Anlage 3). Die Standbilder sind fast alle zeitgleich
entstanden. Diese acht Männer und vier Frauen gehörten zum deutschen
Hochadel, vornehmlich zum wettinischen Herrscherhaus, und sind die Stifter
des ersten Doms. Sie waren fast alle mit dem Bauherrn Bischof Dietrich
II. verwandt, der also besonderes Interesse an der Schaffung dieser Standbilder
hatte. Die Bedeutung dieser Figuren liegt in der wirklichkeitsnahen Darstellung.
Kleidung (Leder und Loden waren die Materialien) und Waffen zeigen die
Mode des 13. Jahrhunderts. Die Gesichter könnten Porträts sein.
Ihre Aufstellung als "Laien" und zum Teil mit Waffen im Chor, der sonst
nur Heiligen vorbehalten war, ist einmalig. Hauptgrund für ihre so
ungewöhnliche Verehrung dürfte sein, daß sie alle der
Kirche, in der sie stehen, besonders hohe Zuwendungen, Stiftungen, gemacht
haben. Diese Frauen und Männer hatten sich um den Naumburger Dom
in besonders hohen Maße verdient gemacht. Die Bemalung der Bildwerke
ist nicht mehr ursprünglich, sondern stammt aus dem 16. Jahrhundert.
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