Der Kirchenraum und die kunsthistorischen Werte
Das Hauptportal
Eine Vorhalle umschließt das einzige monumentale Portal in den
Dom, welches ursprünglich als Freiportal geplant war und in den ersten
Jahren des 13. Jahrhunderts errichtet wurde. Es besteht aus Kalkstein,
bis auf die sandsteinernen Säulenschäfte, und ist einheitlich
und gleichförmig gestaltet. Das Hauptportal liegt an ungewöhnlicher
Stelle, an der Stirnseite des südlichen Querhauses. Grund dafür
ist die Doppelchörigkeit der Bischofskirche. Es ist ein tiefgegliedertes
Stufenportal mit fünf gleichmäßigen Rücksprüngen
auf jeder Seite, in die je fünf vollplastische Säulen eingestellt
sind, welche von ausgezeichneten Kapitellfriesen zusammengebunden werden:
links eine Reihe Adler, die mit Krallen und Schnabel den Schaftring der
Säule fassen, im Wechsel mit Palmetten- Spiralranken, rechts ähnliche
Ranken, die unter den Kämpferecken aus kleinen Tiermasken hervorzusprießen
scheinen. Das Bogenfeld über dem Portal zeigt eine Darstellung des
segnenden Christus mit Gesetzestafeln in einer Mandorla, getragen von
zwei schwebenden Engeln. Die strenge und starre Frontalität des Christusbildes
steht in einem auffallendem Gegensatz zu der Bewegtheit der Engel. Das
archaisch anmutende Flachrelief war ursprünglich farbig gefaßt.
Die hochromanische Krypta
Wie in den geschichtlichen Ausführungen bereits erwähnt wurde,
hatte man zwischen 1170 und 1180 in den ersten frühromanischen Dom
unter dem Ostchor eine zweite Krypta eingebaut, deren hallenartiger Mittelraum
erhalten blieb. Die ausgedehnte Anlage der Krypta besteht aus drei Räumen,
einem Vorraum aus der Bauzeit des Doms, einem Mittelteil, der schon im
frühromanischen Dom als Krypta diente, und einem apsidalen östlichen
Abschnitt. Der älteste, mittlere Raumabschnitt der Krypta besteht
aus drei Schiffen zu je drei Jochen und ist über sechs Freisäulen
und acht Wandstützen kreuzgratgewölbt. In dem schönen kleinen
Raum ist jeder Säulenschaft verschieden dekoriert, und das Ornament
des Schafts greift jedesmal auf den Schaftring über. Meisterwerke
sind auch die Kapitelle, welche den typischen romanischen Palmettendekor
mit Diamantbändern zeigen. Sie gehören zu den herausragenden
Leistungen hochromanischer Bauornamentik. Die Kapitelle in den anderen
Teilen der heutigen Krypta sind denen der Kirchenschiffspfeiler sehr ähnlich
und gehen auf die Zeit der Erweiterung der Krypta nach Osten und Westen
um 1200 zurück. In der spätromanischen Apsis steht noch ein
Altarblock des frühen 13. Jahrhunderts. Das dort aufgestellte hieratisch
strenge, romanische Kruzifix auf dem Altar könnte für den Altar
der in den frühromanischen Dom eingefügten Krypta geschaffen
worden sein, denn es stammt ebenfalls aus der Zeit des Einbaus der Krypta
um 1160/70.
Der spätromanische Ostlettner
Der Ostlettner wurde um 1230, noch in spätromanischer Zeit, errichtet.
Er ist der älteste vollständig erhaltene deutsche Hallenlettner
und wirkt wie ein Bauwerk für sich. Er trennte den Chor als Raum
für die Geistlichkeit vom Langhaus, dem Raum für die Laiengemeinde.
Auf diese Weise diente er der sozialen und liturgischen Abtrennung von
Klerus und Volk. Die Evangelien und die Epistel wurden vom Lettner verlesen.
Weiterhin war er Ort religiöser Schauspiele und liturgische Sängertribüne.
Die kreuzgratgewölbte Halle mit drei Jochen wird von vier Bündelsäulen
und doppelten Wandsäulen getragen. Der Schmuck der Kapitelle ist
von vorzüglicher Qualität. Unter dem mittleren Joch stand der
Altar St. Crucis, der Altar des heiligen Kreuzes, welcher beim spätbarocken
Umbau der Kirche 1747 abgebrochen und erst 1876 in den alten Maßen
und Formen wiederaufgebaut wurde. Die Türen an beiden Seiten der
Rückwand des Lettners führen in den Ostchor und wurden nur zu
besonderen Anlässen geöffnet. Von seiner ursprünglichen
Gestaltung hat der Ostlettner viel eingebüßt, denn sämtliche
Fresken mit den Darstellungen von Christus, den zwölf Aposteln und
heiligen Männern und Frauen in den oben an der Brüstung umlaufenden
Arkaden sind vollständig erneuert.
Der hochgotische Ostchor
Der Ostchor liegt hoch über der Krypta und läßt auf
den ersten Blick seine Entstehung zu verschiedenen Zeiten erkennen. Der
spätromanische Ostchor wurde zwischen 1330 und 1340 nach Osten hin
hochgotisch erweitert. Im Ostchor tritt der Gegensatz zwischen dem spätromanischen
Quadrum und dem hochgotischen Polygon, welches aus sechs Seiten des Zehnecks
besteht, deutlich hervor. Die Gesamtgestaltung richtete sich nach dem
älteren Westchor. Der spätromanische Baudekor im Chorquadrat
ist von bester Qualität. Hervorhebenswert ist das Rankentympanon
mit dem Gotteslamm am Portal zum Nordostturm. Der Lebensbaum weist mit
seinen Ranken nahezu symmetrische Formen auf, dennoch strahlt die Steinmetzarbeit
eine gewisse Natürlichkeit und Frische aus. Die Fenster im Chorraum
stammen zum Teil noch aus der Bauzeit und sind von beachtlicher Qualität.
Sie zeigen die Klugen und Törrichten Jungfrauen, die Tugenden und
die Propheten. Die hochgotischen Fenster schließen stilistisch direkt
an das Augustinerfenster der Erfurter Augustinerkirche an. Die Gesamtwirkung
des Raums wird wesentlich von den hohen Fenstern bestimmt. Die gestaffelte
Altarwand vor dem Polygon entstand 1567. Der Altar trägt schon Züge
der in Deutschland beginnenden Renaissance und verdeckt den Laufgang in
Höhe der Fenster. Eine prächtige mittelalterliche Grabtumba
mit der Darstellung eines Bischofs steht im Chorquadrum. Vermutlich wurde
die Tumba für den Naumburger Bischof Dietrich II. geschaffen. Der
Kirchenfürst regierte das Bistum bis 1272 und konnte den Dombau des
13. Jahrhunderts mit der Errichtung des Westchors abschließen. Da
er sich mit der Vollendung des Domneubaus verdient machte, hat er an exponierter
Stelle seine Grabstätte erhalten. Diese eindrucksvolle, vollplastische
Liegefigur ist ein Spätwerk der Naumburger Werkstatt. Sie entstand
um 1272 und ist ein Werk der mitteldeutschen Hochgotik.
Auch der Diakon, der ursprünglich im Westchor gestanden haben wird,
gehört der Werkstatt des Naumburger Meisters an. Er fungierte als
Pulthalter. Erstaunlich und beeindruckend zugleich ist seine Wirklichkeitsnähe.
Die im Ostchor aufgestellten Holzpulte und das Chorgestühl entstammen
mittelalterlicher Ausstattung. Die Holzpulte dienten als Ablage für
die schweren Meßbücher und entstanden in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts, ebenso der Viersitz. Der Dreisitz entstammt vermutlich
aus dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Das Chorgestühl an
den Innenseiten der Chorschranken ist hochgotisch und wurde kurz vor 1500
geschaffen.
Der Naumburger Dom verdankt seine kunsthistorische Bedeutung den Steinmetzarbeiten
eines unbekannten Bildhauers. Dieser sogenannte "Naumburger
Meister" (Naumburger Werkstatt) hat nach 1250 im Dom gearbeitet und
schuf hier seine Hauptwerke- den Westlettner
und die Stifterfiguren.
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