Der frühgotische Westchor
Seine Berühmtheit erlangte der Naumburger Dom durch den Westchor,
welcher das erste und das großartigste Werk der frühen Gotik
in Sachsen und Thüringen ist.
Dieser, nach den Prinzipien der von Frankreich kommenden reifen Gotik
aufgeführte Chor im Westen, ersetzte die schon erwähnte Stiftskirche
der Ekkehardinger. Der Bau des Westchors war in erster Linie aus liturgischen
Gründen notwendig. Für seinen Baubeginn ist eine überlieferte
Urkunde von 1249 von Bedeutung, in der Bischof Dietrich II. von Wettin
die Gläubigen seiner Diözese dazu aufrief, das von den ersten
Stiftern (primi fundatores) begonnene Werk fortzusetzen und es durch fromme
Spenden zu unterstützen. Im Gegenzug versprach er ihnen die Vergebung
ihrer Sünden und die Aufnahme in eine Gebetsbrüderschaft. Etwa
bis 1260 währten die Arbeiten zum Bau des Chors unter Leitung des
Baumeisters und Bildhauers, der als Naumburger
Meister in die Kunstgeschichte einging. Weder sein Name noch seine
Herkunft sind bekannt. Der älteren Forschung war es jedoch möglich,
sein Werkeverzeichnis zu vervollständigen. Danach hat er seine Lehrjahre
in Frankreich zugebracht, wo er in großen Hütten von Reims,
Metz, Amiens, Nyon und Straßburg arbeitete. In Naumburg wirkte er
in Gemeinschaft mit einer Bauhütte, die in den Urkunden mehrfach
erwähnt wird. Der Westchor war eine Kirche für sich und wurde
der heiligen Maria geweiht, nach der auch der Hauptaltar benannt wurde.
Die vollendete Gotik des Westchors zählt zu den vollkommensten und
reichsten Schöpfungen des Mittelalters. Die Proportionen des Bauwerks
sind geradezu klassisch. Höhe und Breite stehen in einem ausgewogenen
Verhältnis zueinander. Im kathedralhaften Innenraum leiten kräftige
Dienstbündel die Last der Gewölbe auf stark ausgebildete Sockel
ab. Der Grundriß des Westchors ist regelmäßig. An einen
nahezu quadratischen Bauteil, der von einem sechsteiligen Rippengewölbe
überdeckt wurde, schließt ein polygonaler Teil an, der aus
fünf Seiten eines Achtecks gebildet ist. Licht dringt durch fünf,
im Polygon eingestellte, Fenster. Drei von ihnen bestehen noch zu großen
Teilen aus den Scheiben der Erbauungszeit. Ihr Bildprogramm handelt von
Tod und Gericht, Tugend und Lastern. Die Farbfenster mit ihrem gedämpften
Licht tragen viel zu der ruhigen Feierlichkeit dieser Kirche des Naumburger
Sekundärstifts bei. Sie zählen zu den wertvollsten mittelalterlichen
Glasmalereien auf deutschem Boden. Im Westchor vereinen sich neue, aus
Frankreich stammende Stilelemente, wie die spitzbogigen Kreuzrippengewölbe,
der polygonale Grundriß und hohe Maßwerkfenster, mit bodenständiger
deutscher Bautradition. Architektur und Skulpturen bilden im Westchor
eine vollendete Einheit. Die Klarheit seines Aufbaus, die Ausgewogenheit
der einzelnen Glieder des Raums und seines Dekors und die weithin berühmten
Stifterfiguren, die
an den Diensten in Höhe des Laufgangs stehen, gehören zu den
großartigsten künstlerischen Leistungen des 13. Jahrhunderts.
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